Der nierenkranke Patient: Zwischen Wohl und Ökonomisierung

Gruppenfoto
Die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Weiss mit dem KfH-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. med. Dieter Bach (rechts) und dem KfH-Präsidiumsvorsitzenden Prof. Dr. med. Ulrich Frei (links).

Berlin. Ärzte, Pflegexperten und Patientenvertreter haben bei einem gesundheitspolitischen Forum des KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e. V. in Berlin die Bedeutung gemeinnütziger Anbieter in der Nephrologie unterstrichen. „Die Gemeinnützigkeit in der nephrologischen Versorgung tut dem Patienten gut“, stellte der KfH‐Vorstandsvorsitzende Professor Dr. med. Dieter Bach heraus. Als ärztlich getragene, gemeinnützige und nicht gewinnorientierte Gesundheitseinrichtung biete das KfH weit mehr als die reine Dialysebehandlung und habe ausschließlich den Patienten im Blick, sagte Bach. Der KfH‐Vorstandsvorsitzende skizzierte in Berlin die Sichtweise des KfH für eine umfassende Behandlung: „Unser gemeinnütziger Blick geht vom Patienten aus: Er soll im besten Fall gar nicht, oder aber möglichst lange nicht an die Dialyse müssen. Prävention steht an erster Stelle. Sollte eine Nierenersatztherapie unumgänglich sein, bieten wir das gesamte Spektrum der nephrologischen Versorgung an.“ Gemeinnützigkeit in der Versorgung bedeute Professionalität und müsse eine tragende Säule bleiben, so Bach.

Hintergrund der Themensetzung im gesundheitspolitischen Forum des KfH ist die zunehmende Veränderung im Dialysemarkt in Deutschland: „Zu Lasten von niedergelassenen Ärzten mit Dialyseeinrichtungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren industrie‐ und kapitalgetriebene Anbieter durch Aufkauf von Praxen ausgebreitet“, skizzierte Prof. Dr. med. Ulrich Frei, Präsidiumsvorsitzender des KfH. „Diese vom Shareholder Value gesteuerten Einrichtungen stehen dem gemeinnützigen Verein gegenüber.“

Breite Würdigungen zu 50 Jahren KfH

Sabine Weiss, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, sagte vor Ort in ihrer Laudatio, das KfH sei „ein unverzichtbarer Helfer im deutschen Gesundheitswesen“ und dort „ein Vorbild“. Weiss stellte heraus, dass das KfH „der älteste und größte Dialyseanbieter in Deutschland und jetzt ein nephrologischer Gesamtversorger ist, der sich den möglichst langen Erhalt der Nierenfunktion auf die Fahne geschrieben hat.“ Für das KfH stünde „nicht der wirtschaftliche Gewinn, sondern allein das Wohl des Patienten im Mittelpunkt“. Weiss erinnerte speziell an die Rolle des KfH als Gründer der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die heute die Organtransplantation in Deutschland koordiniert, und sprach die aktuelle Organspende‐Diskussion an: „Die doppelte Widerspruchsregelung fordert jeden auf, sich mitder Organspende und der eigenen Spendebereitschaft auseinanderzusetzen.“

Für die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) stellte Präsident Prof. Dr. med. Andreas Kribben heraus, das KfH habe die hohe Qualität der nephrologischen Versorgung in Deutschland wesentlich mitbegründet. Bezogen auf die steigende Zahl kommerzieller Anbieter bei den ambulanten Dialyseeinrichtungen sagte Kribben: „Um die Nephrologie dauerhaft in Deutschland weiterzuentwickeln, ist es wichtig, dass wir gemeinsam auftreten und mit einer Stimme sprechen.“

Prof. Dr. med. Ulrich Frei, Präsidiumsvorsitzender des KfH, erinnerte an die Zeit vor 50 Jahren, als „das Versagen der Nieren ein Todesurteil war“. Mit der KfHGründung wurde das Heimdialyseverfahren in Deutschland eingeführt: „Die ersten Patienten samt Partner wurden von einem kooperierenden Arzt in London in der Selbstbehandlung zu Hause geschult. Das genauso geniale wie einfache Prinzip war, dass der Verein Dialysemaschinen auf Kredit besorgte und diese durch Abrechnung der Einzelbehandlungen mit den Kostenträgern ebenso finanzierte wie die pflegerische und ärztliche Betreuung.“

Patientenorientierung setzt medizinische Unabhängigkeit voraus

In einem Impulsvortrag nahm der Bremer Arzt und Medizinethiker Prof. Dr. Dr. med. Karl‐Heinz Wehkamp Stellung zur medizinischen Versorgung zwischen Patientenwohl und Ökonomie. Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts seien die ethischen Leitwerte der Medizin wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität auch für das politische Gesundheitssystem bestimmend gewesen, sagte er. „Diese Kongruenz wird aktuell unterlaufen: Die Medizin gerät unter die Herrschaft des ökonomischen Kalküls und des betriebswirtschaftlichen Gewinnstrebens.“

Eigene Forschungen legten den Schluss nahe, „dass in der deutschen Krankenhausmedizin ökonomische Interessen zunehmend medizinische Entscheidungen beeinflussen – zum Nachteil von Patienten und medizinischem Personal.“ Ärzte seien heute auch an betriebswirtschaftliche Vorgaben wie Gewinn und Rendite gebunden. „Der Charakter der Medizin verändert sich“, stellt Wehkamp fest. Es bestehe Gefahr, dass finanzielle Anreize die beste Versorgung der Patienten verhindern. Wehkamp möchte die Politik in die Pflicht nehmen und forderte unter anderem: „Schafft eine Finanzierungsordnung, die Ärzte und Management nicht zwingen, Patienten als ‚Cash Cows‘ zu missbrauchen. Lasst den Ärzten Zeit für die Basisleistungen guter Medizin. Sprecht nicht von Qualitätsorientierung, während ihr gleichzeitig die Voraussetzungen dafür entzieht.“ Echte Patientenorientierung setze medizinische Unabhängigkeit voraus. Das KfH sei sicherlich „ein Bollwerk“ gegen die erkennbare Entwicklung.

Experten beziehen Stellung zur zunehmenden Ökonomisierung

Abgeschlossen wurde das gesundheitspolitische Forum des KfH von einer Podiumsdiskussion, durch die der Medizinjournalist Helmut Laschet führte. Vertreter aller Bereiche beleuchteten dabei, was die zunehmende Ökonomisierung in der Nephrologie für die Patienten, die Pflegekräfte und die Nephrologen bedeutet. Peter Gilmer (Mainz), Vorsitzender des Patientenverbandes Bundesverband Niere e. V., wies darauf hin, dass auch die Selbsthilfe gemeinnützig organisiert sei und „eine neue emotionale Heimat für die neuen Lebensumstände“ als nierenkranker Patient biete.

Prof. Dr. Michaela Zeiß (Frankfurt am Main), Expertin für Pflege‐ und Gesundheitsmanagement, sagte: „Wir brauchen hochqualifizierte Menschen, die in diesem Beruf gut arbeiten und auch anerkannt werden. Und wir müssen daran arbeiten, dass die Pflege als Beruf wertgeschätzt wird.“ Der KfH‐Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. med. Dieter Bach erläuterte in der Podiumsdiskussion unter anderem den KfHinternen Ethikleitfaden, in dem darauf hingewiesen wird, dass der Patient immer im Mittelpunkt stehe. Der Kindernephrologe Prof. Dr. med. Peter Hoyer (Essen), Vorsitzender der Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie, wies darauf hin, dass dank des KfH die nephrologische Behandlung von Kindern anerkannter Standard sei. Die hohe Spezialisierung in diesem Feld bedeute, dass medizinisches Know‐how gebündelt werden müsse. In bundesweit 16 KfHNierenzentren für Kinder und Jugendliche wird die große Mehrheit aller nierenkranken jungen Patienten behandelt. „Ohne die KfH‐Struktur“, so Hoyer, „wäre ihre Versorgung gar nicht möglich.“ Für den Medizinökonom und Transplantationsmediziner Prof. Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h. c. Eckhard Nagel (Bayreuth) ist das KfH „ein exzellentes Beispiel, wie Gemeinnützigkeit die medizinische Entwicklung fördert. Das KfH habe in den 1970er Jahren erkannt, dass es mit der Nierentransplantation eine bessere Behandlungsmethode als die Dialyse gibt und es diese entsprechend zu fördern gelte. Nagel: „Sobald die Ökonomie die Leitkultur wird, wird sie zum Problem.“

Die Podiumsdiskussion endete passend mit einem Satz von Patientenvertreter Peter Gilmer in Richtung der anwesenden Ärzteschaft: „Sie sind für die Patienten der wichtigste Faktor, und lassen Sie die Kaufleute dann schauen, wie das finanziert wird.“

Foto: KfH/Peter Hahn